Gehörlose 22-Jährige schließt Ausbildung zur Heilerziehungspflegehelferin ab

„Dies ist eine Erfolgsgeschichte“, sagt Andreas Schock. Dabei ballt er leicht die Faust und drückt sie an die Brust. Es ist das Wort für „Erfolg“ in Gebärdensprache.

© Rummelsberger Diakonie

Dozent Andreas Schock und Heilerziehungspflegehelferin Sarah Reitlinger

Der Dozent an der Fachschule für Heilerziehungspflege der Rummelsberger Diakonie in Ebenried meint Sarah Reitlingers Geschichte. Die gehörlose junge Frau hat allen Steinen, die ihr im Weg lagen, zum Trotz ihre Ausbildung zur Heilerziehungspflegehelferin im Juli 2017 abgeschlossen. Heute arbeitet sie in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung. „Es macht mich glücklich, dass ich den Menschen helfen kann“, sagt die reiselustige 22-Jährige.

Die erste Fachschule, an der Reitlinger sich beworben hatte, sagte ihr ab. Mit Gebärdensprach-Dolmetschern in den Unterricht kommen? Das sei nicht möglich. Dass das nicht nur möglich, sondern für alle Beteiligten ungeheuer bereichernd war, haben die 22-Jährige, ihr Dolmetscher-Team, die Mitschüler*innen und Dozent*innen gemeinsam bewiesen. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Von einer Kollegin hatte Reitlinger den Tipp bekommen, dass an der Fachschule Ebenried bereits zwei Schülerinnen mit einer Hörschädigung ihre Ausbildung gemacht hatten. Doch erstmal sah es so aus, als würde der Traum platzen: Ihr Antrag auf Kostenübernahme für die Gebärdensprach-Dolmetscher wurde abgelehnt. Reitlinger legte Widerspruch ein und reichte bei einer weiteren Behörde einen Antrag ein. Durch die beiden parallel laufenden Verfahren herrschte dann einige Verwirrung. „Ich wollte schon das Handtuch werfen“, erinnert sich die junge Frau. „Doch eine Woche vor Schulbeginn kam die schriftliche Zusage, dass die Kosten übernommen werden.“

Auch die Schule hat viel gelernt

Die Klasse nahm sie freundlich auf. Klar, sie habe den ersten Schritt gehen müssen, viel lief über die beiden Dolmetscher, die in der Schule immer dabei waren. Aber nach und nach lernten die Mitschüler*innen einige Gebärden. „Wir haben auch als Schule viel gelernt“, sagt Dozent Andreas Schock. „Natürlich bedeutete es Veränderungen, aber das haben wir gerne gemacht.“ Beispielsweise wurde in der Fachschule neben der akustischen Alarmanlage zusätzlich ein Lichtalarmsystem installiert. Die Stundenpläne erhielten die Dolmetscher vorab, um ihre Dienste planen zu können. Der Berufsverband der Gebärdensprach-Dolmetscher hat die Fachschule Ebenried als erste Schule überhaupt mit der Auszeichnung „Gebärdensprachfreundliche Institution“ versehen.

Sarah Reitlinger ist zurecht stolz, dass sie die Ausbildung gemeistert hat. „Ich habe sehr viel zuhause geübt und wiederholt“, sagt sie. Die Mitschüler*innen gaben ihr oft ihre Mitschriften aus dem Unterricht, denn Gebärden zu lesen und gleichzeitig zu schreiben ist unmöglich. Aber aufgeben passt nicht zu der jungen Frau. „Never give up“ hat sie auf dem Schlüsselbein tätowiert. Das gilt auch in der Arbeit, wo sie schwerbehinderte Erwachsene betreut, die alle gehörlos sind. Ihr schönstes Erlebnis bisher: Ein Bewohner hatte noch nie gebärdet, die Mitarbeitenden hatten es aufgegeben, ihm diese Kommunikationsmöglichkeit zu zeigen. Nur Sarah Reitlinger gab nicht auf, zeigte ihm immer wieder das Zeichen für „Ich möchte essen“, bis er es eines Tages benutzte.

Text: Rummelsberger Diakonie/Andrea Wismath